Lügen und lange Beine
von Mario Kunzendorf
7.5.2025

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen und Leser,
Lügen haben kurze Beine, sagt ein Sprichwort. Welch Glück für Friedrich Merz (1,98 m) und Markus Söder (1,94 m), dass sie folglich nicht gemeint sind. Also können Merz und Söder vor der Wahl gar nicht gelogen haben, als sie versprachen, all ihre Pläne rein über Wirtschaftswachstum zu finanzieren. Sogar den Vorwurf der Wählertäuschung weisen beide Unionspolitiker zurück. Tatsächlich sei es doch so gewesen, dass die Realität sie beide völlig unvorbereitet getäuscht und getroffen habe. Krieg in Osteuropa? Irrlichter im Weißen Haus? Stagflation im Land? Das konnte doch keiner ahnen…
Aber gut, Schluss mit der Ironie. Dass Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur notwendig sind, bestreitet niemand. Wie die Sonderschulden des Staates zustande gekommen sind, interessiert bis zur nächsten Wahl mutmaßlich nur mehr wenige. Aber eine weitere Wählertäuschung droht – und die würde wirklich schmerzen: das Ausbleiben von Strukturreformen. Mehrere Gründe lassen jedoch die allseits angemahnte Renovierung unwahrscheinlich bleiben. Mit den Zusatzschulden sinkt der Reform-Druck auf die nächste Regierung, gegen die Hemmkräfte der bestehenden Behörden-Bürokratie kommt sie eh nicht an und jeder dritte Euro des Staatshaushalts fließt heute ohnehin in die Rentenversicherung und die Bundesschuld; Spielräume sind also tendenziell Fantasien.
Wie läuft es wirklich? Ein Beispiel schildert diese Ausgabe mit der Gewerbeabfallverordnung: Das Bundesumweltministerium lässt die bestehende Verordnung über drei Jahre prüfen und stellt fest: Sie funktioniert nicht. Das Ministerium folgert daraus: Ein neues Formular und mehr Vollzugskontrollen werden die Praxis richten. Aufwand für Firmen und Verbraucher rechnet das Ministerium schön, bspw. taxiert man den Einsatz eines „hoch- qualifizierten“ Umweltsachverständigen auf 59,70 Euro pro Stunde. Das Ampel-Kabinett bestätigt die Novellierung, im Bundestag landet sie aber erst am 30. Januar 2025. Weil es hier nun keine Ampel-Mehrheit mehr gibt, verweist man den Entwurf in den Umweltausschuss. Indes dieser bis zur Konstituierung des neuen Bundestags nichts mehr tut, gilt der Entwurf ohne Abstimmung als vom Bundestag genehmigt. So viel zum Parlamentarismus. Bleibt aus Sicht des Handwerks zu hoffen, dass der Bundesrat das Vorhaben noch beeinflusst.
Besser ist es für das Handwerk beim Abgrenzungsleitfaden gelaufen. Deutscher Industrie- und Handelstag sowie Deutscher Handwerkstag haben sich darauf verständigt, dass die Montage von Solaranlagen auf Dächern dem zulassungspflichtigen Dachdeckerhandwerk zuzuordnen ist. Damit gibt es einen rechtlich belastbaren Hebel, um Pfuscher und Drücker zu verfolgen. Hoffen wir, dass es bei dieser Regel bleibt, Gegenwehr gibt es.
Noch besser ist es für das Dachhandwerk auf der Internationalen Handwerksmesse gelaufen. Ehrenamtliche und Auszubildende haben die Nachfolge von Jürgen Lehner vom KPZ angetreten und das Dachhandwerk aufsehenerregend mit großem Zuspruch vertreten. Dabei hat das Team sogar bewiesen, dass „Abhängen“ hart, aber Erfolg bringend sein kann. Und nebenbei entstand an der Stange eine Erkenntnis, die an den sprichwörtlichen Anfang erinnert: Auf der Messe haben niemandem kurze Beine beim Mogeln geholfen. Erst lange Beine wie die eines ZVDH-Präsidenten verschafften überhaupt eine Chance auf Wettbewerbsvorteile. Was Dirk Bollwerk als Ehrenmann natürlich nicht ausgenutzt hat.
Mario Kunzendorf
Landesinnungsmeister