Praktisch trocken schwimmen
von Mario Kunzendorf, Landesinnungsmeister
2.9.2025

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen und Leser,
jetzt, wo der Landesverbandstag 2025 vorbei ist, kann ich es ja zugeben: Nicht alle 48 Texte in den Glückskeksen der Dachdecker-Innung Oberpfalz und Kreis Kelheim waren ausschließlich faktenbasiert. Ein paar Statistiken waren interpretiert, ein paar Schiller-Zitate neusprachlich aktualisiert. Und außerdem: Gefühlte Wahrheiten stehen weltweit derzeit doch im Kurs, weshalb sich die Innung hier nur marktkonform verhalten hat. Wichtiger ist ohnehin, dass der Verbandstag viel positiven Zuspruch von den rund 200 Teilnehmern erfahren hat. So darf es sein, dafür nochmals herzlichen Dank.
Gespannt dürfen alle schon auf das nächstjährige Treffen am Brombachsee sein. Der beißende Waller dort mag tot sein, aber was machen seine Nachkommen, wenn sie erfahren, weshalb Papa gejagt und gegessen wurde? Die Innung Mittelfranken wird alles sicher im Blick haben. Oder ein geeignetes Schiff wählen. Denn Mittelfranken scheuen keine Herausforderung. Ein Beispiel: Unser Nürnberger Innungskollege Daniel Preißinger hat als erster Dachdecker bundesweit an einem der Praxis-Checks mitgewirkt, die von der vorherigen Bundesregierung beschlossen wurden, um Gesetze vor Einführung auf Tauglichkeit zu testen. Der frühere Justizminister Marco Buschmann sagte damals: „Praxis-Checks sind ein wirkungsvolles Instrument, um von den Betroffenen zu erfahren, wo der Schuh drückt.“
Betroffene sind in dem Fall auch die Dachdecker, der neue Schuh ist die Novellierung der Gewerbeabfallverordnung. Das Bundesumweltministerium hat den politischen Auftrag dann so umgesetzt – und das ist keine Satire: Der Praxis-Check wurde erst gestartet, nachdem die neue Verordnung von Bundesregierung und Bundestag beschlossen war; mithin ein Zeitpunkt, an dem keine Änderung mehr vorgesehen ist. Das Ministerium ließ zudem nicht eine einzige Vorgabe aus dem Haupttext der Verordnung prüfen, sondern lediglich ein Ausfüllformular aus dem Anhang. Begleitet wurde dies nebenbei mit dem ministeriellen Hinweis, die Eingabe von erfundenen Zahlen sei durchaus kein Problem. Es ging also nie um Praxis, nur um Trockenschwimmen am Beckenrand.
Der LIV Bayern und der ZVDH in Köln haben daraufhin nochmals in Abstimmung mit dem Zentralverband der Bauwirtschaft und anderen bundesweit Landespolitiker kontaktiert. Und siehe da: Nicht nur die bayerische Staatsregierung sicherte ihre Unterstützung zu, auch aus weiteren Gremien folgten so viele Einwände, dass die am 11. Juli geplante Abstimmung im Bundesrat platzte und das Thema von der Tagesordnung abgesetzt werden musste. Aber ausgestanden ist damit noch nichts.
Während der Verband dort bewusst bremst, würden sich alle bei der Veröffentlichung der neuen Flachdachregeln über mehr Zeitnähe freuen. Allerdings sind nach wie vor nicht alle ergänzenden Abbildungen fertiggestellt, wie ZVDH-Techniker Jan Redecker im BayernDach-Interview bestätigt. Nicht nur im LIV Bayern gibt es Sorge, ob denn mit zunehmendem Verzug der Inhalt selbst überhaupt noch auf dem aktuellen Stand ist. Aber ums positiv zu wenden: Die neuen Fachregeln brauchen bis zur Reife bestimmt nicht mehr so lange wie einst der Kölner Dom, über den wir beim Verbandstag in der kleinen Glückskeks-Serie „Deutsche Gründlichkeit“ berichtet hatten. Wobei: Die 632 Jahre, die der Dombau gebraucht hat, sind jetzt vielleicht doch nicht der so wirklich mutmachende Maßstab.
Mario Kunzendorf
Landesinnungsmeister