„Über den Tellerrand schauen“
Gespräch mit Jan Redecker, Geschäftsführer Technik beim ZVDH
von Harald Friedrich
13.8.2025

Das neue Flachdachregelwerk, die Diskussion um die Abbildungen in den Fachregeln, das geplante Institut für Dach- und Fassadentechnik: drei große Fragen(zeichen) in der Branche und Thema eines Gesprächs mit Jan Redecker, Geschäftsführer Technik beim ZVDH.
Die erste Frage, die Anwender, aber ebenso Planer, Hersteller und natürlich auch Sachverständige auf den Nägeln brennt: Wann kommt das neue Flachdachregelwerk? Die Texte stehen, die Inhalte sind fix.
„Wir hoffen auf die Veröffentlichung noch in diesem Jahr“, so Jan Redecker. Nur ein Hoffnungsschimmer oder ist das realistisch? Redecker erklärt die Verzögerung: „Was noch fehlt sind eigentlich nur die neuen Abbildungen“.
„Nur noch“ klingt schon mal gut. Doch der Teufel steckt im Detail. Der Technik-Fachmann klärt auf: Der ZVDH verfügt über ein neues Zeichenprogramm. Das ermöglicht das Erstellen von perspektivischen Abbildungen – für das Grundregelwerk ebenso wie für die verschiedenen Regelwerke. So können beispielsweise mit diesen farbigen Zeichnungen einzelne Schichten, Komponenten und Bauteile deutlicher unterschieden werden.
Erstmals wurde dieses neuen perspektivischen Bildmaterial in den aktualisierten Regelwerken zu Unterdeckungen und Unterspannungen (s. Abb.) sowie bei den Dachziegeln und Dachsteinen (s. Abb.) eingesetzt.
Gut gemeint ist aber nicht immer gut verstanden. Je detaillierter eine Abbildung ist, desto eher sind Anwender geneigt, diese als „einzig mögliche Lösung“ zu verstehen – und nicht als beispielhafte Darstellung, die dennoch in der Praxis individuelle, aber regelkonforme Lösungen zulässt. Eine Rückmeldung, die auch Jan Redecker als Technik-Fachchef des ZVDH zunehmend erreichte.
Eine farbige perspektivische Darstellung soll eigentlich das Verstehen eines Prinzips erleichtern und eine Texterläuterung bildhaft und vorstellbar unterstützen. Nicht mehr und nicht weniger.
Doch weder wurde Rom an einem Tag erbaut noch das Fachregelwerk des Deutschen Dachdecker-handwerks neu (oder besser: in einem neuen Erscheinungsbild) erstellt.
Hinzu kommt, wie es Jan Redecker auf einen kurzen Nenner bringt: anderer Ausschuss, andere Meinung und andere Umsetzung. Immerhin konnte die Mitgliederversammlung inzwischen eine Einigung erzielen. Die neue Art der Abbildungen wurde von ihr beschlossen. Der Fachausschuss Grundregel wiederum formulierte anschließend alle Vorgaben für die Umsetzung.
Redecker erklärt auch gleich, wie Missverständnisse und/oder Fehlinterpretationen in der Praxis künftig vermieden werden sollen. In allen Texten und unter Abbildungen wird stets der Hinweis zu finden sein, dass es sich um „beispielhafte Abbildungen“ handelt. Da spielt es laut Redecker keine Rolle, ob jemand nur ein Bild aufruft oder an einer beliebigen Stelle in Grund- oder Fachregeln einsteigt. Dieser Hinweis wird stets deutlich erkennbar sein – und nicht nur als Teil eines Vorworts, als eine kleine Fußnote oder als ein Texthinweis im Anhang.
Das macht Schluss mit Konflikten und Diskussionen auf der Baustelle „Ja, warum hast Du das nicht genauso gemacht, wie das hier aufgezeichnet ist?“ Mit diesen Hinweisen sollte künftig Klarheit im Klartext herrschen, ist sich Redecker sicher.
Bleiben wir beim Blick in die Zukunft: In der Branche macht die Ankündigung der Gründung eines Instituts für Dachtechnik die Runde. Hier ergänzt und korrigiert Jan Redecker gleich: „Wir haben den Namen dahingehend geändert, dass es ,Institut für Dach- und Fassadentechnik‘ heißen wird“.
Die richtige Entscheidung, fügt Redecker hinzu. Schließlich ist das Dachdeckerhandwerk nun mal das Fachgewerk für die Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik. Und er gibt gleich noch den Hinweis, dass die Idee gar nicht so neu ist. Schon 2019 habe Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx die Anfänge dieser Idee gelegt. Und damit hat er dem Dachdeckerhandwerk „kein Ei gelegt“, sondern einen Denkanstoß für morgen gegeben. Er hat damit Weitblick bewiesen, findet auch Jan Redecker. Der Klimawandel, die Zunahme von Extremwetterereignissen und neue Bauarten erforderten nun mal auch eine „neue Denke“.
Redecker betont gleich, dass dies nicht bedeute, die Fachregeln und die damit verbundenen teilweise Jahrhunderte alten Erfahrungen, die in diese Regeln eingeflossen sind, seien von gestern.
Doch es gäbe aufgrund der sich ständig verändernden äußeren Einflüsse den dringenden Bedarf nach neuen Konzepten und Lösungen.
Als Beispiel nennt der Fachtechniker Redecker die Wasserabführung. Die Zunahme der Flächenversiegelung und Extremniederschläge erlaubt es nicht, einfach nur die Dimensionen wasserableitender Komponenten zu vergrößern. Diese neuen Denkweisen, wie zum Beispiel die Klimaanpassungen in Richtung Schwammstadt oder die Energiewende in Richtung Solardach, verlangen der Branche viel ab. Alle, also das Regelwerk, die Hersteller und die Dachdeckerbetriebe, sind angesprochen, Lösungen in kurzer Zeit zu schaffen. Das geht nur gemeinsam, wenn alle an einem Strang ziehen.
So wurde die Idee zu einer Institutsgründung weiterentwickelt als Branchenlösung für Dachdeckerhandwerk, Industrie und Wissenschaft.
„Wer heute innovative Produkte entwickeln will, kommt an einer frühen Einbindung des Fachhandwerks nicht vorbei. Nur gemeinsam lassen sich tragfähige Lösungen entwickeln, die in der Praxis bestehen – und das Vertrauen der Anwender gewinnen. Gerade in dieser Phase braucht es mehr als werbliche Aussagen: Entscheidend sind belastbare Nachweise und ein ehrlicher Abgleich mit der Realität auf dem Dach.“
Aufgabe und Ziel eines Instituts für Dach- und Fassadentechnik IDFT muss es sein, Produkte (und damit auch Produktversprechen) unter die neutrale Lupe zu nehmen, bei bestehenden Produkten die Weiterentwicklung voranzutreiben und neue Produkte zu entwickeln.
„Wir werden in der Lage sein, die theoretische Richtigkeit – also Produktversprechen – mit Blick auf die Praxis zu überprüfen.“
Das schaffe, so Jan Redecker, mehr Sicherheit für die verarbeitenden Betriebe und deren Kunden. Vorhandene Erfahrungswerte untermauern und fehlende Kriterien erforschen, heißt die Devise.
Als Beispiel führt er Solardachziegel auf, die einer-seits eine PV-Anlage, andererseits eine Eindeckung darstellen. Für beide Produktbereiche gibt es Regeln – was fehlt sind Informationen, wie sich die Zusammenführung der beiden Produkte auf das Dach auswirken.
Um die Neutralität von Forschungen, Tests und Ergebnissen zu gewährleisten, sollen solche Prüfungen im ersten Schritt an externe Dienstleister vergeben werden. Das können zum Beispiel Universitäten, Hochschulen oder auch unabhängige Labore sein.
Im nächsten Schritt, so die Ankündigung von Redecker, sollen eigene Zertifizierungen stehen. Redecker nennt als vergleichbares Beispiel die innovativen Materialgarantien des ZVDH und verweist auf die Erklärung des ZVDH hierzu: „… Innovation und anerkannte Regel der Technik sind ein Widerspruch. Um auch neuere Produkte ohne langjährige Erfahrungswerte verarbeiten zu können, benötigen Dachdeckerinnungsbetriebe einen besonderen Schutz.“ Genau auch darum geht es bei der geplanten Institutsgründung.
„Der Ausschussarbeit der Ehrenamtlichen im ZVDH können die Ergebnisse der Institutsarbeit und deren Zertifizierungen eine zusätzliche Hilfestellung sein – sie müssen es aber nicht“. Am Ende entscheide jeder Fachausschuss selbst.
Auf das „Geschmäckle“ angesprochen, das stets im Zusammenhang mit dem Begriff „Unabhängigkeit“ hingewiesen wird, stellt Redecker klar: Die Neutralität wird gewährleistet durch die Beteiligung externer Dienstleister, die Eigenständigkeit des Instituts selbst und die Ausschüsse und Mitgliederversammlung als zusätzliche Instanz.
Konzipiert ist das IDFT als Verein. Nicht ungewöhnlich, denn was viele nicht wissen: Auch der TÜV ist keine Behörde, sondern ein Verein, so der Hinweis von Redecker.
Mitglieder des IDFT werden die Landesinnungsverbände im ZVDH sein. Hinzu können Fördermitglieder einen Teil der Finanzierung der Institutsarbeit unterstützen. Zusätzlich wird ein Kuratorium aus Handwerk, Herstellern und Handel die Arbeit durch Beratung unterstützen.
Geburtsort und Geburtstag des neuen Instituts werden voraussichtlich die Mitgliederversammlung anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Bundesbildungszentrum des Dachdeckerhandwerks (BBZ) in Mayen sein.
Wie fasst Jan Redecker es treffend zusammen: „Auch im traditionellen Dachdeckerhandwerk gilt: Wer die Zukunft aktiv mitgestalten will, muss auch über den Tellerrand hinausschauen“.